In einer aktuellen Entscheidung mahnt der Oberste Gerichtshof (OGH) zu mehr Vorsicht: In gefährlichen Situationen muss man sich besser vergewissern, ob niemand kommt. Die erste Instanz hat einem Traktorfahrer zwar noch den vollen Schadenersatz wegen Alleinverschuldens des Unfallgegners zugesprochen. Das Berufungsgericht ging von einem gleichteiligen Verschulden aus, doch am Ende entschied der OGH, dass der Traktorfahrer eine Mitschuld von einem Viertel trägt. Begründet hat dies der OGH damit, dass manchmal ein zweiter Blick vorm Abbiegen nötig ist, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu garantieren.

Traktorfahrer setzte linken Blinker, ordnete sich zur Fahrbahnmitte ein und schaute auch in Rückspiegel

Der Unfall geschah auf einer Bundesstraße, als sich hinter dem Traktor bereits eine Kolonne gebildet hatte. Der Traktorfahrer passierte eine Kreuzung und wurde dabei von mehreren Fahrzeugen überholt. Als der Traktor nach links in eine Hauszufahrt abbiegen wollte, setzte er den linken Blinker und schaute auch in den Rückspiegel. Bis zu zwanzig Sekunden, zumindest aber die letzten zwei bis zweieinhalb Sekunden vor der Kollision war der Blinker für den nachkommenden Pkw sichtbar.

Als der Traktor bereits mit dem Abbiegemanöver begonnen hat, hat der Pkw-Fahrer 45 Meter vor der Unfallstelle den Überholvorgang eingeleitet. Der Traktorfahrer beobachtete aber den nachfolgenden Verkehr die letzten vier bis fünf Sekunden vor dem Abbiegen nicht mehr. Sonst hätte er den Pkw-Lenker rechtzeitig bemerkt. Dagegen blieb der Traktorfahrer noch einmal kurz stehen und bog dann ab. Es kam zur Kollision mit dem überholenden Pkw. Der Traktor stürzte um und wurde beschädigt, der Fahrer wurde verletzt.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Der OGH stellte klar, dass man grundsätzlich nicht noch ein zweites Mal auf den nachkommenden Verkehr blicken muss, wenn man schon zuvor geblinkt und auf etwaige Überholende geachtet hat. Aber ein zweiter Kontrollblick sei nötig, wenn eine unklare Lage für die von hinten kommenden Fahrzeuge besteht. Und eine solche Situation sei hier vorgelegen. Der Traktorfahrer an der Spitze der Kolonne sei von mehreren Fahrzeugen überholt worden und sogar noch kurz stehen geblieben. Grund genug, einen zweiten Kontrollblick zu fordern. Im Ergebnis gab der OGH dem Traktorfahrer aber nur ein Mitverschulden von einem Viertel und vermindert sich dementsprechend sein Schadenersatz.

Mitverschulden von einem Viertel vermindert dementsprechend den Schadenersatz

Bei der Gewichtung dieses Mitverschuldens war zu bedenken, dass die Geschwindigkeitsdifferenz bzw das Langsamerwerden des Traktors auf der Bundesstraße auch für die nachfolgende Erstbeklagte einen besonderen Auffälligkeitswert haben und sie zu besonderer Aufmerksamkeit und Vorsicht veranlassen musste. Überdies war der Kläger mit dem Traktor zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet und blinkte seit längerem ordnungsgemäß und wahrnehmbar.

Das Verschulden der überholenden Pkw-Lenkers war zu Recht unstrittig, wobei nach der Rechtsprechung das Übersehen eines in Tätigkeit befindlichen Blinkers stets als schwerwiegend anzusehen ist. Insgesamt war das Fehlverhalten des Pkw-Lenkers daher gegenüber dem unterlassenen Kontrollblick des Traktorfahrers als wesentlich schwerer einzustufen, sodass der OGH auf ein Verschulden von 3:1 zulasten des Pkw-Fahrers entschied.

OGH 2 Ob 121/18 k, 30.07.2018

Übersicht OGH-Rechtsprechung zum Abbiegevorgang

1. Hat der Lenker eines Fahrzeugs seine Absicht, nach links abzubiegen, rechtzeitig angezeigt und sich davon überzeugt, dass niemand zum Überholen angesetzt hat, dann ist er nicht verpflichtet, unmittelbar vor dem Abbiegen nach links noch einmal den nachfolgenden Verkehr zu beobachten. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass ein nachfolgender Fahrzeuglenker dieses Manöver wahrnehmen, sich vorschriftsmäßig verhalten und ihn rechts überholen werde. In diesem Falle braucht er auch an Kreuzungen nicht damit zu rechnen, links überholt zu werden. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur mit der Einschränkung, dass nicht besondere Gründe den Linksabbieger eine Gefahr erkennen lassen und damit besondere Vorsicht erforderlich machen bzw der Einbiegende damit rechnen muss, dass hinter ihm eine unklare Verkehrslage besteht. Ob somit die Unterlassung eines weiteren Rückblicks unmittelbar vor dem Linksabbiegen ein Verschulden begründet, hängt letztlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab.

2. Ein weiterer Kontrollblick wurde etwa verlangt, wenn die Einmündung, in die abzubiegen beabsichtigt ist, für nachkommende Verkehrsteilnehmer schwer erkennbar ist, bei einer Grundstücks-, Betriebs- oder Hofzufahrt, bei einer erst aus der Nähe wahrnehmbaren Nebenstraße oder wenn der Lenker zwar blinkte, aber nicht zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet war oder sich nicht einordnen konnte, oder so lange blinkte, dass die genaue Abbiegestelle unklar wurde.

3. Eine unklare Lage für den Nachfolgeverkehr und daher die Notwendigkeit eines Kontrollblicks unmittelbar vor dem Abbiegen erzeugt auch ein Kraftfahrzeuglenker, der an der Spitze einer Kolonne fährt und in einen unbedeutenden, erst im letzten Augenblick erkennbaren Seitenweg einbiegen will. Ähnliches wurde für einen Kraftfahrer ausgesprochen, der zwar seine Absicht, nach links abzubiegen rechtzeitig und ordnungsgemäß anzeigte, sich aber vor dem Einbiegen von zwei nachkommenden Personenkraftwagen links überholen ließ und für einen Kraftfahrer, der zwar links blinkte, dann aber stehen blieb und schließlich doch links einbog, ohne die nachfahrenden Verkehrsteilnehmer zu beachten. Auch ein erheblicher Geschwindigkeitsunterschied, bei dem mit einem möglichen Überholmanöver zu rechnen ist, kann ein Grund für die Notwendigkeit eines solchen weiteren Kontrollblicks sein.