
Schockschadenersatz für Dritte trotz fehlender Angehörigeneigenschaft
OGH, 2 Ob 208/23m
Der OGH hat in einem aktuellen Urteil über einen Fall entschieden, bei dem ein Kläger durch einen Verkehrsunfall schwer traumatisiert wurde. Am 3. Juni 2021 geriet der Erstbeklagte mit seinem Auto von der Fahrbahn ab und kollidierte ungebremst mit einer Gruppe von Mopedfahrern, zu der auch der Kläger gehörte. Die Mopedfahrer hielten etwa vier Meter außerhalb der Fahrbahn einer Bundesstraße wegen eines technischen Problems. Zwei Personen, darunter der beste Freund des Klägers, wurden bei dem Unfall getötet, und mehrere wurden schwer verletzt.
Der Kläger erlitt durch das unmittelbare Miterleben des Unfalls eine posttraumatische Belastungsstörung. Obwohl er selbst physisch unverletzt blieb, litt er unter schwerwiegenden psychischen Folgen, darunter Alpträume und Flashbacks. Er konnte seit dem Vorfall nicht mehr Moped fahren und war zwei Wochen lang arbeitsunfähig, wodurch ihm ein Verdienstentgang entstand.
Der Kläger forderte vom Gericht eine Entschädigung, darunter Schmerzensgeld, Verdienstausfall und Spesen. Die Beklagten argumentierten, dass der Kläger nicht unmittelbar am Unfall beteiligt war und daher keine Ansprüche geltend machen könne. Das Erstgericht entschied zugunsten des Klägers. Diese Entscheidung wurde vom Berufungsgericht bestätigt. Es erkannte an, dass der Kläger zwar kein unmittelbarer Unfallbeteiligter war, aber aufgrund seiner Nähe zum Unfallgeschehen und seiner starken emotionalen Bindung zu den Opfern dennoch Anspruch auf Schmerzensgeld habe. Die Beklagten legten Revision ein und argumentierten, dass der Kläger nicht als nahe Angehöriger anzusehen sei und daher keinen Anspruch auf Schmerzensgeld habe. Der OGH bestätigte jedoch die vorherigen Entscheidungen. Er stellte fest, dass der Kläger, obwohl er kein „naher Angehöriger“ ist, dennoch eine qualifizierte unmittelbare Beteiligung am Unfallgeschehen hatte und daher Anspruch auf Schmerzensgeld habe.
Das Gericht hob hervor, dass eine unmittelbare Beteiligung am Unfallgeschehen nicht unbedingt eine formale Angehörigkeit erfordert. Es genügt vielmehr, dass der Geschädigte in gravierender Weise direkt dem Unfall ausgesetzt war. In diesem Fall war der Kläger aufgrund seiner Nähe zum Unfallort und seines unmittelbaren Eingreifens in die Rettungsversuche als unmittelbar beteiligt anzusehen.
Das Urteil verdeutlicht die rechtliche Anerkennung von Schockschäden bei Personen, die zwar keine formalen Angehörigen sind, aber dennoch direkt und schwerwiegend von einem Unfall betroffen sind. Erforderlich ist, dass der Dritte bei gebotener wertungsmäßiger Gesamtbetrachtung der Erstschädigung objektiv in gravierender Weise direkt ausgesetzt war („qualifizierte Unfallbeteiligung“).